Behavioral Finance - Onpulson (2024)

Definition: Was ist die Behavioral Finance?

Behavioral Finance ist ein finanzwissenschaftlicher Ansatz, der traditionelle wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungsmethoden mit Methoden der Psychologie verbindet. Behavioral Finance könnte man – wenig anschaulich – mit »Verhaltensökonomie « übersetzten. Die Disziplin entstand Anfang der achtziger Jahre und hat sich zu einer regelrechten Modeerscheinung in der Betriebswirtschaftslehre entwickelt.

Behavioral Finance unterscheidet sich von anderen Fachrichtungen und methodischen Ansätzen in der Ökonomie dahingehend, dass sie nicht grundsätzlich von rationalen, also »nutzenmaximierenden« Wirtschaftsakteuren ausgeht.

Was das Vermögensanlagegeschäft angeht, liefert Behavioral Finance einige äußerst interessante Einsichten, die neue, zusätzliche Argumente für Indexanlagen liefern. In kurzer Form könnte man die Erkenntnisse der Behavioral Finance in Bezug auf das Vermögensanlagegeschäft wie folgt beschreiben: Aufgrund einer ganzen Reihe irrationaler, größtenteils unbewusster Verhaltensweisen der Anleger, denen selbst professionelle Finanzinvestoren wie Fondsmanager, Broker, Aktienhändler und Finanzprofessoren zum Opfer fallen, ist es vollständig naiv anzunehmen, als Privatanleger könne man den Markt schlagen. »Vollständig naiv« deshalb, weil die Finanzwissenschaft bereits vor Entstehen der Behavioral Finance viele andere Gründe identifiziert hat, die eine langfristige Überrendite (Index-Outperformance) einzelner Investoren unwahrscheinlich machen.

Behavioral Finance bestätigt mithin aus einem neuen Blickwinkel, was die Finanzwissenschaft schon seit den fünfziger Jahren immer wieder herausgefunden hat: Die Chancen, den Markt langfristig nach Kosten und Risiko zu schlagen, sind deprimierend gering, und die Gefahr, langfristig unter dem Marktergebnis zu landen, ist bei unausgewogenen, nicht diversifizierten Investments deprimierend hoch.

Behavioral Finance: Typische Verhaltensmuster

Im Folgenden werden die wichtigsten, von Ökonomen in wissenschaftlich seriösen Experimenten nachgewiesenen Verhaltensmuster von Anlegern dargestellt. Die Gültigkeit dieser Phänomene, die wir hier stark verkürzt und in einer Auswahl darstellen, ist in der Wirtschaftswissenschaft längst unbestritten.

1. Systematische Selbstüberschätzung

Die systematische Selbsüberschätzung, auch als overconfidence bias bezeichnet, beschreibt das Phänomen, dass Anleger ihr Anlage-Know-how konsequent zu hoch einschätzen. Zum Beispiel geben rund 85% aller befragten Privatanleger an, sie seien »überdurchschnittliche« Investoren – eine Zahl, die schon allein aus mathematischen Gründen nicht stimmen kann. Eine andere Ausprägung des Overconfidence Bias besteht darin, dass die Bandbreite möglicher künftiger Ereignisse (z.B. die möglichen Kurse einer bestimmten Aktie am Jahresende) systematisch unterschätzt wird. Auch die Profitabilität des eigenen Investmenterfolges in der jüngeren Vergangenheit wurde in einer Untersuchung um mehr als 110% überschätzt, und – wen überrascht es? – der Overconfidence Bias ist bei Männern höher als bei Frauen.

2. Verzerrter Rückblick

Sobald ein Ereignis abgeschlossen ist (z.B. ein bestimmter Kursanstieg eingetreten ist), überschätzen Anleger systematisch das Ausmaß, in dem sie selbst dieses Ereignis hätten vorhersagen können. Auf Befragung deklarieren sie bestimmte Argumente als ihnen »schon vorher bekannt«, die sie objektiv erst nach Eintritt des Ereignisses kennen gelernt haben.

3. Verlustaversion

Anleger bewerten Gewinne und Verluste identischer Größenordnung unterschiedlich, ebenso die Wahrscheinlichkeiten identischer Gewinne und Verluste. Verluste werden gefühlsmäßig als gravierender eingestuft als Gewinne in gleicher Höhe. Folglich lässt sich nachweisen, dass verkaufte Aktien nach dem Verkauf höhere Renditen als die gekauften erzielen – unabhängig davon, ob das Depot von einem Profi oder einem Privatanleger gemanagt wurde. Anleger scheinen einem unterbewussten Zwang zu unterliegen, Verlustrealisierung (das Eingeständnis einer »Niederlage«) zu vermeiden.

4. Neigung zur Übergewichtung der Vergangenheit

Objektiv identische bzw. gleich bedeutsame Ereignisse werden in ihrer Wichtigkeit unterschiedlich gewertet, je nachdem, wie lange sie zurückliegen.

Anders formuliert: Die verhaltenssteuernde Wirkung von Informationen verfällt im Zeitablauf, unabhängig von ihrer tatsächlichen Bedeutung, zugunsten weniger bedeutender, aber jüngerer Ereignisse.

5. Mentale Nichtübereinstimmung

Eine einmal getroffene Einschätzung in Bezug auf den »richtigen« Kurs eines Wertpapiers wird unangemessen gering an neue Informationen angepasst, wenn diese Informationen gegen die Richtigkeit dieser Einschätzung sprechen.

6. Magisches Denken

Anleger rechnen sich die Ursachen eines Anlageerfolges oder -misserfolges persönlich zu, auch wenn andere Umstände ganz oder überwiegend dafür verantwortlich waren. So ist z.B. wissenschaftlich gesichert, dass 80% bis 95% des Anlageergebnisses eines Portfolios auf die in ihm enthaltenen Asset- Klassen zurückgeht und nicht auf die Auswahl einzelner Wertpapiere innerhalb der Asset-Klassen. Dennoch schreiben sich Anleger ihr Anlageergebnis in einer bestimmen Zeitspanne vollständig zu, selbst wenn sich die Asset-Klasse nie geändert hat oder eine andere Person die Asset-Klassen bestimmte.

7. Denken in unangemessen isolierten Zusammenhängen

Das »big picture« (große Bild), das zur Beurteilung von Sachverhalten notwendig wäre, wird selbst, wenn der Anleger es kennt, zugunsten einer isolierten Betrachtung einzelner Daten und Argumente vernachlässigt. Die Vorteile von Indexanlagen sind hierfür ein gutes Beispiel. Obwohl ihre Überlegenheit gegenüber aktiv gemanagten Anlageprodukten zweifelsfrei bewiesen ist, stufen die meisten Anleger die Renditeerfolge einzelner Investoren oder die Aussagen einzelner »Experten« höher ein als die gesammelten Forschungsergebnisse der Finanzwissenschaft über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren.

Neben den hier genannten psychologischen Ungleichgewichten bzw. Irrationalitäten hat die Behavioral Finance noch viele weitere entdeckt. Schon wurden mehrere Investmentfonds aufgelegt, die versuchen, durch Ausnutzung dieser Forschungsergebnisse den Markt zu outperformen (die Ergebnisse waren bislang gemischt, zuverlässige Schlussfolgerungen dürften erst in einigen Jahren möglich sein).

© Campus Verlag

Behavioral Finance - Onpulson (2024)

FAQs

Who is the father of behavioral finance? ›

All three of these men, Amos Tversky, Daniel Kahneman, and Richard Thaler, are today considered to be among the founding fathers of behavioral finance.

What is the concept of behavioral finance? ›

So, what is behavioral finance? It's an economic theory that explains often irrational financial behavior, such as overspending on credit cards or panic selling during a market downturn. People often make financial decisions based on emotions rather than rationality. 1.

What are the four cornerstones of behavioral finance? ›

The “4 Rs” of Behavioral Finance
  • R #1: Recognize the Situation. ...
  • R #2: Reflect on Your Values. ...
  • R#3: Reframe Your Viewpoint. ...
  • R#4: Respond Purposefully.
Jul 18, 2022

What is the behavioral finance hypothesis? ›

Behavioral finance theory suggests that the patterns of overconfidence, overreaction and over representation are common to many investors and such groups can be large enough to prevent a company's share price from reflecting economic fundamentals.

Is behavioral finance real? ›

Behavioral finance helps us understand how financial decisions around things like investments, payments, risk, and personal debt, are greatly influenced by human emotion, biases, and cognitive limitations of the mind in processing and responding to information.

What are the limitations of behavioral finance? ›

Behavioural finance theory ignores the impact of social status on investment decisions. Some investments are made only to increase social status and investors do not care about the economic impact of such investments e.g. people purchase expensive houses and other goods to to 'keep up with the Jones's'.

What are the two pillars of behavioural finance? ›

And yet, there is no dearth of investors making irrational decisions. Clearly, something else is at play here – cognitive bias and limits to arbitrage. These are the two pillars of behavioural finance. Both offer answers to how emotions and biases affect share prices and financial markets.

What are the three themes of behavioral finance? ›

Behavioral finance consists of three themes: (1) heuristic‐driven bias; (2) frame dependence; and (3) inefficient markets.

What are the key behavioral finance issues? ›

Key Takeaways

Some common behavioral financial aspects include loss aversion, consensus bias, and familiarity tendencies. The efficient market theory which states all equities are priced fairly based on all available public information is often debunked for not incorporating irrational emotional behavior.

What is an example of behavioral finance in real life? ›

Example: Another classic example of behavioural finance in action is the tendency for investors to practice Loss Aversion. Many investors hold on to losing stocks for too long, hoping for a rebound.

What does the rule of 72 determine? ›

Do you know the Rule of 72? It's an easy way to calculate just how long it's going to take for your money to double. Just take the number 72 and divide it by the interest rate you hope to earn. That number gives you the approximate number of years it will take for your investment to double.

What are biases in behavioral finance? ›

Biases of Behavioral Finance

Experiential bias: It occurs when an investor's memories or experiences from past events make them choose sides even when such a decision is not rational. For instance, previous or current bad experience leads them to avoid similar positions.

What is cognitive theory in behavioral finance? ›

Behavioral finance is a relatively new field that seeks to combine behavioral and cognitive psychological theory with conventional economics and finance to provide explanations for why people make irrational financial decisions.

What does behavioural finance assume? ›

Behavioural finance attempts to explain how decision makers take financial decisions in real life, and why their decisions might not appear to be rational every time and, therefore, have unpredictable consequences. This is in contrast to many traditional theories which assume investors make rational decisions.

What is the objective of behavioral finance? ›

To understand some psychological biases which lead to various anomalies. To understand the various effects like endowment, disposition etc. To understand investors' behaviour in secondary markets.

Who introduced behavioral finance? ›

Behavioral finance originated from the work of psychologists Daniel Kahneman and Amos Tversky and economist Robert J. Shiller in the 1970s-1980s. They applied the pervasive, deep-seeded, subconscious biases and heuristics to the way that people make financial decisions.

Who is the founding father of behavioral economics? ›

In the 1980s, Richard Thaler began to build on the work of Tversky and Kahneman, with whom he collaborated extensively. Now the Charles R. Walgreen Distinguished Service Professor of Behavioral Science and Economics at the Booth School of Business, he is today considered a founder of the field of behavioral economics.

Who is the inventor of behavioral economics? ›

Nowadays, besides the occasional references to Simon (1955) or Allais (1953), behavioral economics is mostly understood to have originated in the heuristics and biases research program of Daniel Kahneman, Amos Tversky, and Richard Thaler that started in the 1980s (Truc, 2022a).

Who created behavioral management? ›

Behavioral management theory is sometimes referred to as the human relations movement due to its focus on the human dimension of work. Theorists who contributed to behavioral management include Mary Parker Follett, Elton Mayo, and Abraham Maslow.

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Author: Twana Towne Ret

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