Sam Bankman-Fried: Er nutzte Leute aus, indem er sich als Altruist inszenierte (2024)

Wegen mutmasslichen Milliardenbetrugs droht dem einstigen Krypto-Star Sam Bankman-Fried eine langjährige Haftstrafe. Der Autor Michael Lewis zeichnet seine Karriere nach – die Geschichte eines Spielers, der Leute ausnutzte, indem er sich als Altruist inszenierte.

Markus Schär

6 min

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Der Podcaster Tyler Cowen bietet seinem Gast eine Wette an: 51 Prozent Chance, dass die Welt ihren Wert verdoppelt, 49 Prozent Risiko, dass sie untergeht. Und der Gast, der als Börsenspekulant so viel Geld wie möglich rafft, um es als effektiver Altruist zum Optimieren der Welt zu spenden, lässt sich ernsthaft auf das leichtfertige Gedankenspiel ein. Ja er denkt gar über wiederholtes Wetten nach – obwohl selbst jene mit einem Fensterplatz im Statistikkurs wissen, dass die Rechnung in die Katastrophe führen muss.

Das Paralleluniversum von Sam Bankman-Fried ist inzwischen zusammengekracht. Im November 2022 stürzte er mit seiner Krypto-Börse und seiner Krypto-Handelsfirma auf den Bahamas zahlungsunfähig in ein Multimilliardenloch, weil er mutmasslich Kundengelder veruntreut und verspielt hatte.

Ab dem 3.Oktober stand er in New York wegen Betrugs und Geldwäscherei vor Gericht, am 2.November sprach ihn die Jury in allen sieben Anklagepunkten schuldig. Und im März 2024 folgt das Urteil mit dem Strafmass, über das sich angesichts der präzedenzlosen Deliktsumme nur spekulieren lässt: irgendetwas zwischen zehn und hundert Jahren Gefängnis.

Bis dann taucht SBF, wie ihn die Welt kennt, nicht mehr in den News auf, wohl aber auf der Bestsellerliste. Denn der Autor Michael Lewis bekam noch in guten Zeiten den Zugang zu Sam Bankman-Fried. Und er erlebte den Zusammenbruch auf den Bahamas mit.

Michael Lewis hat die Schattenwelt des Geldes bereits ausgeleuchtet, in seinem Buch «Liars Poker» schrieb er über seine Zeit an der Börse Ende der 1980er Jahre, in «The Big Short» befasst er sich mit der Finanzkrise von 2007 und 2008. In seiner Anfang Oktober erschienenen Reportage über Bankman Fried zeigt er, was schon ahnte, wer den Podcast des Ökonomen Tyler Cowen mit dem Wunderkind der Krypto-Welt hörte: Bei den Börsenwetten und beim Weltretten von Sam Bankman-Fried ging letztlich nichts auf. Lewis’ Buch ist deshalb auch ein aufschlussreiches Sittenbild, was mit den amerikanischen Eliten nicht stimmt.

Ein Kind, das den eigenen Geburtstag nicht feiern will

SBF erlebt eine Welt ohne Gefühle. «Er nannte mir sein Geburtsdatum, 5. März 1992», schreibt Michael Lewis. «Darüber hinaus sagte er wenig, und er meinte auch, seine Kindheit gebe nichts her. Das fand ich eigenartig, denn immerhin hatte er zwei Drittel seines Lebens bis dahin als Kind verbracht.»

Seine Eltern, Joe Bankman und Barbara Fried, sind beide Rechtsprofessoren in Stanford. Sie heiraten nicht, aus Protest, weil es hom*osexuelle nicht dürfen. Sam wächst mit einem jüngeren Bruder auf, kann aber nichts mit ihm anfangen. Er geht gelangweilt in die Schule, hält nichts von Musik, Kunst oder Literatur, findet Religion und Rituale absurd, ja lässt nicht einmal seinen Geburtstag feiern. Nur Videospiele packen ihn – auch später als Krypto-Star beschäftigt er sich bei Konferenzen oder Interviews nebenbei gerne mit seinem Handy.

Offenbar ist der Junge, wie viele im Silicon Valley, «auf dem Spektrum» von ADHS und Autismus. Seine Eltern tun nichts dagegen, sondern fördern seine intellektuelle Frühreife noch: Auf dem Schulweg spricht die Mutter mit dem Sohn über ihre akademische Arbeit und lehrt ihn schliesslich auch den Utilitarismus, das Prinzip, das bei allem Handeln nach dem grösstmöglichen Nutzen für die Betroffenen strebt.

Das Vortäuschen von Gefühlen muss er sich selber beibringen

SBF versteht das Leben als Wette. Er lernt Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), mit einer Langeweile, die an physischen Schmerz grenzt. Danach steigt er, ohne das geringste Interesse an Geld, bei einer Handelsfirma an der Wall Street ein. Denn bei Jane Street Capital geht es nicht mehr darum, dass Menschen aufgrund von Bauchgefühl miteinander handeln, sondern darum, dass Computer Ineffizienzen des Marktes nutzen. Dies einerseits mit High-Frequency-Trading und Millisekunden Vorsprung auf die Konkurrenz, anderseits mit Statistik: Wer 51:49 wettet, gewinnt letztlich immer – ausser wenn er, wie Nicholas Nassim Taleb in seinen Bestsellern seit der Finanzkrise warnt, dabei seine Existenz aufs Spiel setzt.

Die Wahrscheinlichkeiten prägen nicht nur den Handel an der Börse, sondern auch den Gang der Welt. Deshalb schliesst sich der spätpubertäre Utilitarist Bankman-Fried den Jüngern von Will MacAskill an, einem smarten Nachwuchsphilosophen aus Oxford, der den «Effektiven Altruismus» lehrt: Seine Anhänger sollen nicht nur zehn Prozent ihres Einkommens für das möglichst wirkungsvolle Weltverbessern spenden. Sie müssen auch ihr ganzes Leben auf dieses Ziel ausrichten oder zumindest möglichst viel Geld verdienen, um es dafür einzusetzen.

Das heisst: Für jedes Handeln lässt sich ein Erwartungswert berechnen, welchen Nutzen es in der Zukunft bringt. Und diese Zukunft dauert für Will MacAskill eine Million Jahre.

SBF berechnet den Wert seiner Mitmenschen. Seit der Kindheit kann er mit den Gefühlen anderer Leute nichts anfangen, und er muss sich das Vortäuschen von Gefühlen beibringen. Aber er kann andere Menschen mit seinem Intellekt für sich gewinnen, vor allem eine Kollegin bei Jane Street Capital, Caroline Ellison, die als Tochter eines Ökonomieprofessors am MIT aus demselben Milieu kommt. Er lockt sie zu seiner eigenen Handelsfirma Alameda Research und macht sie zur Geschäftsführerin.

Bei ihren Wetten rund um die Uhr in Berkeley und später auch in Hongkong und auf den Bahamas kommen sich die beiden näher. Während sie Listen führt, was für ihre Liebe spricht, rechnet er kühl, wie Michael Lewis schreibt: «Sam wollte in jedem Moment machen, was den höchsten Erwartungswert hatte, und ihr Erwartungswert für ihn stieg vor dem Sex auf den Höhepunkt und stürzte gleich danach ab.»

Wie viel braucht es, damit Trump nicht kandidiert?

Der Wunderknabe in T-Shirt und Shorts, der mit seinem Krypto-Handel vermeintlich ein Milliardenvermögen zusammenrafft, um es dereinst zu verschenken, erregt die Aufmerksamkeit der Medien. Er befeuert den Hype, indem er Baseballstars, Supermodels und Politiker kauft und die Demokraten mit zweistelligen Millionenbeträgen unterstützt. Schliesslich fragt er sogar Donald Trump, was er für den Verzicht auf eine weitere Kandidatur fordere (Antwort: fünf Milliarden Dollar). Und er benutzt den Hype: Bei den berühmtesten Risikokapital-Firmen im Silicon Valley sammelt er Milliarden ein, ohne dass jemand Fragen stellt.

Er lässt sich scheinbar auch in das Kalkül anderer Leute einspannen. So lädt ihn Vogue-Chefin Anna Wintour als vermeintlichen Grossspender an ihre Met Gala ein. Er sagt zu, obwohl er dafür lange Hosen anziehen müsste, und sagt kurzfristig doch wieder ab: Ein anderer Entscheid hat in diesem Moment einen höheren Erwartungswert.

SBF entzieht sich jeder Verantwortung. «Er wollte kein Chaos im Leben anderer Leute anrichten», schreibt Michael Lewis. «Er bewegte sich einfach auf dem einzigen Weg durch die Welt, den er kannte. Die Kosten, die andere dafür bezahlten, flossen schlicht nie in seine Kalkulationen ein.»

Jeder schaut für sich, so kommt für alle am meisten heraus: Die Maxime gilt nicht nur, angeblich, in der Ökonomie seit Adam Smith, an dessen ebenso wichtiges Werk als Moralphilosoph kaum jemand denkt. Die Maxime gilt vor allem im Business mit Kryptowährungen. Wer sie schafft und nutzt, muss nicht mehr den Zentralbanken vertrauen, die ihr Geld aus dem Nichts schöpfen – er hat vermeintlich alles unter Kontrolle. Doch das ist eine Illusion. «Im traditionellen Finanzwesen, das auf Vertrauen beruht, muss niemand den anderen vertrauen», stellt Michael Lewis fest. «Im Krypto-Business, das auf Misstrauen beruht, vertrauen die Leute aber völlig Fremden gewaltige Summen an.»

Mitgefühl ist bei der Weltrettung störend

So kann der Wunderknabe Bankman-Fried mit seinem Clan auf den Bahamas eine Börse betreiben, bei der die Kunden Milliarden aufbewahren. Er greift mit seiner Handelsfirma auf Kundenguthaben zu, er zweigt Milliarden für eigene Zwecke ab, er führt keine ordentlichen Bücher, weshalb immer wieder Millionenbeträge verschwinden. Und er will sich nach dem Zusammenbruch seines Imperiums gegenüber den Medien und vor Gericht herausreden, er habe nur im jugendlichen Überschwang den Durchblick verloren.

Auch beim Weltverbessern geht die Rechnung nie auf. Der effektive Altruist denkt nicht daran, für die acht Milliarden Menschen zu sorgen, die gegenwärtig auf der Erde leben, geschweige denn für jene in seinem Umfeld. Er rechnet – wie Will MacAskill in seinem jüngsten Buch «Was wir der Zukunft schulden» – mit den kommenden Generationen in galaktischen Zeiten. Mitgefühl stört ihn dabei nur, gerade bei Wetten auf den Weltuntergang wie im Podcast mit Tyler Cowen.

Beim Vortäuschen seines Engagements für eine bessere Welt, sagt der Kurzzeit-Tycoon nach seinem Fall, habe er nur die richtigen Shibboleths aufsagen müssen, also die Zeichen für die Zugehörigkeit zur Blase: «Die Ethik ist einfach ein dummes Spiel, das wir Woken im Westen spielen.»

Michael Lewis: Going Infinite. The Rise and Fall of a New Tycoon. New York 2023, 288S., Fr. 36.90.

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