Credit-Suisse-GV ohne Publikum: Wirtschaft versteckt sich (2024)

Kommentar

Die Credit Suisse hält ihre anstehende Abstimmung zur umstrittenen Kapitalerhöhung ohne Publikum ab. Viele Unternehmen gingen 2022 so vor und verschanzten sich weiterhin hinter der Pandemie, um den Aktionären aus dem Weg zu gehen. Auf lange Frist schadet sich die Wirtschaft damit selbst.

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Am 23.November lädt die Credit Suisse (CS) zur ausserordentlichen Generalversammlung. Der Grund ist unerfreulich: Die Bank braucht mehr Eigenkapital, die Aktionärinnen müssen es ihr geben. Entweder beteiligen sie sich an der Kapitalerhöhung und kaufen neue CS-Aktien, oder ihre Anteile werden weiter verwässert. So oder so: Die Anteilseigner, die den starken Kurszerfall des CS-Titels über die letzten Jahre hinweg mitgemacht haben, dürften nicht erfreut sein.

Zu erwarten wäre, dass wütende Kleinaktionäre der Bankführung bei dieser Gelegenheit die Kappe waschen, wie sie das an Generalversammlungen seit Jahr und Tag zu tun pflegen. Das müssen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung aushalten. Aber nichts da: Die GV wird gemäss Einladung «in Übereinstimmung mit der Verordnung 3 des Bundesrats über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus ohne persönliche Teilnahme von Aktionärinnen und Aktionären durchgeführt». Sie wird nicht einmal als Webcast übertragen.

Die Aktionäre können im Vorfeld Fragen einreichen und – natürlich – abstimmen. Aber die Antworten auf die Fragen kann die CS-Führung vorbereiten. Der Veranstaltung wird damit jegliche Spontanität ausgetrieben. Für das Management und den Verwaltungsrat ist diese digitale Distanz angenehm. Es wird keine Filmaufnahmen geben von alten Herren am Rednerpult, die ihnen die Leviten lesen. Und Aufnahmen, die nie gemacht werden, lassen sich auch später nicht in der «Tagesschau» oder auf «Blick TV» ausstrahlen.

Die CS ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das sich im Ausnahmezustand häuslich eingerichtet hat. Die ordentlichen Generalversammlungen im Frühling 2022 fanden in aller Regel weiterhin ohne physische Präsenz statt. Begründet wurde das jeweils damit, dass das Corona-Spezialregime des Bundes Anfang Jahr noch gegolten habe, als man die Planung der GV in Angriff genommen habe.

2020 und 2021 ergaben die Sonderregeln angesichts der grassierenden Pandemie Sinn, doch dank der Impfung hat die Gesellschaft an Freiheit zurückgewonnen. Inzwischen finden wieder Grosskonzerte und Fussballspiele mit Tausenden Fans statt. Da müssen auch Generalversammlungen möglich sein.

Manche Unternehmen haben bereits reagiert: Die ABB hat ihre ausserordentliche GV am 7.September in der Messehalle in Oerlikon abgehalten. Ab 9 Uhr wurde ein Frühstück serviert, um 10 Uhr 30 ging es los. 503 Aktionärinnen und Aktionäre nahmen teil und hiessen die Abspaltung der Turbolader-Sparte unter dem Namen Accelleron mit grosser Mehrheit gut.

Natürlich: Die «Aktionärsdemokratie» ist ein Zensuswahlrecht. Wer viele Aktien hält, bestimmt. Kleinaktionäre können die Abstimmungen kaum beeinflussen. Darum geht es aber nicht, sondern um den Austausch mit dem Management und dem Verwaltungsrat. Sie sollten die Eigentümer ihres Unternehmens zumindest einmal im Jahr physisch sehen und erleben. Dann nämlich, wenn diese Eigentümer über die Lohn- und Bonuspakete der Firma abstimmen. Die Wirtschaft beklagt sich an Abstimmungssonntagen gern darüber, dass sich die Bevölkerung von ihr entfremdet. Eine richtige GV hilft dabei, diesen Graben ein wenig zuzuschütten.

Die erwähnte «Verordnung 3 des Bundesrats» ist noch bis Ende 2022 in Kraft. Ab 2023 gilt jedoch das überarbeitete Aktienrecht, das den Firmen ebenfalls mehr Spielraum gibt. Sie können ihre GV künftig an mehreren Orten parallel durchführen, als hybride Veranstaltung – oder rein digital. Allerdings müssen sie dafür sorgen, dass die Aktionäre auch per Computer all ihre Rechte wahrnehmen, also live und interaktiv teilnehmen können. Die Unternehmen sollten sich dabei nicht mit dem Minimum zufriedengeben, sondern an ihrer GV wieder mehr Austausch und Kontroverse zulassen. Es handelt sich dabei bloss um eine Geste. Aber um eine wichtige.

8 Kommentare

Beat Leutwyler

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Die CS hat getan was die Notverordnungen des Bundesrats erlaubt haben.Nicht die CS steht in der Kritik, sondern National- und Ständeräte, die als Bundesversammlung die Oberaufsicht über den Bundesrat hat - oder hätte.Nie sind jene schuld, die es versuchen, sondern jene die es zulassen.

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Rekholder Scholtinos

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… Sie weisen darauf hin, dass die virtuelle Versammlung die Notfallgesetzgebung ab dem 1.01.2023 ablösen kann, ja, aber nur dann, wenn dies in den Statuten vorgesehen wird; und so eine Statutenänderung bedarf eines GV Beschluss. Der Bundesrat empfahl in seiner Botschaft zur Notfallgesetzgebung, dass parallel zu den virtuellen Versammlungen ein «Chat» eingerichtet werden sollte, dies wird auch ab dem 1.01.2023 empfohlen, wo tatsächlich auch schüchterne Aktionäre sich zu Wort melden können was tatsächlich zu demokratischeren Verhältnissen führt. Das Problem in diesen Chats sind aber die Hassreden, die für viele Aktionäre unerträglich sind. Das Problem der Hassreden besteht deshalb, dass im Gegensatz zu Kommentaren in Zeitungen wie beispielsweise der NZZ keine Texte ausgesperrt werden dürfen. Es ist also wichtig, dass nur Aktionäre in Chats zu virtuellen Abstimmungen teilnehmen dürfen, welche wie Bankkonteninhaber völlig verifiziert wurden und im Chat mit vollem Namen und Adresse erscheinen müssen, damit sie sich jederzeit für das geschriebene verantworten müssen.

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